Wilhelm von Humboldt           Nr. 377 vom 11. Januar 1833

1767 – 1835

Wann kehren, Sonne, deines Frühlings Tage,

der von des Eioses Fesseln mich befreiet?

So tönt herauf des Geistes laute Klage,

da seine Wasserfläche starrt beschneiet.

 

Mit Lust ich schwanenbusge Schiffe trage,

sie zu umschaukeln, meine Flut sich freuet

Um schönen Leib ich gern die Welle schlage,

die ihm im Bad krystallnen Spiegel leihet.

 

Allein verhaßt ist mir der Schlittschuh’ Tönen,

die mein mit stahlgeformten Nacken höhnen,

mir Furchen, wie der dienstbarn Erde, ziehen,

 

Mir, der ich in der Woge freiem Glühen

von Ufer ungestüm zu Ufer brause

und bald im Bache, bald im Weltmeer hause.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Nr. 384. vom 18. Januar 1833

1767 – 1835

Von Indiens Bergen meine Väter stiegen,

sie lebten nicht in Hütten noch in Zelten,

der Himmel war ihr Dach auf ihren Zügen;

wo Wandrung sie ins Abendland anstellten.

 

Sie ihre Freiheit ließen nie besiegen,

für heimatlos sie lieber wollten gelten.

Wenn mich die Leute sehn den Wald durchfliegen,

sie darum mich: die braune Hexe! schelten.

 

Doch nach der braunen Hexe sie verlangen,

vom schlanken Wuchs, vom Feuerblick entzündet;

allein ihr Kuß berührt nicht meine Wangen,

 

Mein Fuß behend sich ihrem Netz entwindet.

um braunen Nacken süß in Sternennächten

sich meine braungebrannten Arme flechten.

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Nr. 398 vom 1. Februar 1833

1767 – 1835

Ihr düster winkenden Zypressenreihen,

die schon begrüßten meiner Jugend Jahre,

ich werde euren finstren Ernst nicht scheuen,

da grau bereift sind meiner Scheitel Haare.

 

Es muß der Mensch sich still der Strenge weihen,

wenn seine Schritte nahn des Grabes Bahre,

daß, wo die Götter nicht mehr reiz verleihen,

er Würde doch und ernste Zucht bewahre.

 

So setz’ ich meine festen sichren Schritte

durch eure Schreckensnacht-umgebne Mitte,

wo ein Ton ewig wiederholt erklinget,

 

Und Schmerz die furchtbewegte Brust durchdringet.

Denn wissend, daß den Gang der Pflicht ich gehe,

ich willig um an jedem Ende drehe.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Nr. 409 vom 12. Februar 1833

1767 – 1835

Des Sterbens Gewinn

 

Dem Höheren sie treu und rein sich weihte,

doch ging durchs Leben in ungleichem Streite,

zu eitlem Tande oft herabgezogen,

da sie im Herzen Tiefrem war gewogen.

 

So ward ums schöne Leben sie betrogen

und kämpfte hart mit schweren Schicksalswogen.

Eh sie sich günstigeren Umschwungs freute,

ward sie des Schicksals früh entraffte Beute.

 

Doch ward vielleicht durch Sorge sie von oben

der irdisch drohenden Gefahr enthoben,

daß in dem zarten, innren Heiligtume

 

sich selbst entfärbte die erschlossne Blume,

da dem, was schmeichlerisch gefällig rauschet,

mit zu nachgiebgem Ohre sie gelauschet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Nr. 424 vom 27. Februar 1833

1767 – 1835                                       

Corinna

 

Sie lebet streng im Kreise ihrer Pflichten,

sie weiß sie unverdrossen treu zu üben,

fremd ist ihr eignes Hassen oder Lieben,

sie hat nie Streit in ihrer Brust zu schlichten.

 

Gediegen ist und tüchtig stets ihr Tichten,

sie wird durch Hoffnung nie von Lohn getrieben;

ihr gnüget, wenn sie vorwurfsfrei geblieben

vor ihres eignen Busens ernstem Richten.

 

Daß Demut rein aus ihrer Seele quille,

ist sorgsam sie im einfachen Gemüte,

sie freuet sich der anspruchlosen Blüte,

 

die aus der Pflichterfüllung Ruhe sprießet,

daß, wo sie hintritt, sich in ihr erschließet

der Seele Frieden und der Glieder Fülle.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Nr. 455 vom 30. März 1833

1767 – 1835

Wahre Größe

 

Wer nie die Trockenheit des Lebens fliehet,

phantastisch nicht mit luftgen Bildern spielet,

die aus sich selbst er sinnig webend ziehet,

der doch des Menschen Dasein halb nur fühlet.

 

Ihm nicht der Gluten zarter Funken sprühet,

der lodernd Sehnsucht weckt und Sehnsucht kühlet.

Er mit den Lasten sich des Lebens mühet

und in dem harten Stoff der Dinge wühlet.

 

Doch kann er bieder, wahr, gerecht, gediegen,

durch jede Tugendübung mächtig siegen.

Bewundernd ihn der Ruhm der Menge nennet:

 

wer tiefer schaut, von Großem Größres trennet.

So warest du, den ich geehrt mit Schweigen,

doch vor dem nie mein Geist sich konnte beugen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nr. 482 vom 26. April 1833

 

...

Was immer auch vom Menschen sprießt und blühet,

zwei Richtungen zugleich entgegenstrebet,

wie sich der Zweig frei in die Luft erhebet,

die Wurzel an die Nacht des Bodens ziehet.

...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nr. 496 vom 10. Mai 1833

 

...

Die Dumpfheit sie des Nebeltals verließen,

verlangend nach des Bergeshauches Wehen.

...

 

 

 

 

 

 

 

Nr. 514 vom 28. Mai 1833

 

...

Ich tauchte gern mich in die Weltgeschäfte,

versuchte wagend, wie mein Los mir fiele.

...

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Nr. 526 vom 9. Juni 1833

1767 – 1835

Es einen Punkt im Menschenleben giebet,

aus dem es, wie aus Knospen, los sich windet,

der das Gemüt mit süßester Fessel bindet,

die Sehnsucht weckt, in dem sie Herrschaft übet.

 

Mir dieser Augenblick hat ungetrübet

der Tage Glück auf alle Zeit gegründet,

der Flamme Glut mir in der Brust entzündet,

mit der das Herz auf Erden ewig liebet.

 

Denn wenn auch die Erscheinung ist gewichen,

wo sich des Schicksals finstrer Vorhang schließet,

und Menschenschritte nun ihr nimmer nahen,

 

So ist ihr teures Bild doch nicht erblichen,

das lieblich noch die stille Seele grüßet

und gleiches Los mit ihr drängt zu umfahen.